Du warst 2005 und 2007 schon mit dabei – jetzt gibt es eine Neuauflage von popdeurope. Was bedeutet es Dir, wieder auf dem Festival zu spielen?
popdeurope war und ist das erste internationale Musikfestival, das sehr offensiv und kreativ, die Kreuzung von elektronischer Musik mit Roots-Pop-Culture propagiert. Es ist mir eine sehr große Freude und Ehre an diesen weltoffenen, kosmopolitischen & grenzüberschreitenden Prozessen mitzuwirken. Deutschland ist der kulturelle und wirtschaftliche Schmelztiegel im Herzen Europas. Das muss man hören und fühlen können. Wo gelingt das besser als beim popdeurope Festival?
Bei mir ist Migration hör- und tanzbar.“
Seit über einem Jahrzehnt befasst Du Dich intensiv mit osteuropäischer Musik. Was kann Musik Deiner Meinung nach sozial und politisch bewegen?
Ich bin sicher, einer der ersten deutschen Musiker & DJs zu sein, der der hiesigen Popkultur einen kosmopolitischen Sound einimpfte. Bei mir ist Migration hör- und tanzbar. Musikalische Preziosen aus Südosteuropa, dem Nahen Osten oder vom Mittelmeer erscheinen in einem neuen, vielschichtigen Kontext. Damit werden auch die Kulturen, aus der sie entstammen, intuitiv erfahrbar.
Meine Methode ist kulturelles Mixing und Sampling: Dinge aus dem Zusammenhang reißen und in einen neuen überführen. Clubkultur als Konzept, das sich permanent weiterentwickelt. Damit habe ich schon vor 25 Jahren angefangen.
Das sind, beflügelt durch das Internet, die positiven Aspekte, einer rasanten musikalischen Globalisierung. Dabei liegt der Schwerpunkt im Wesentlichen auf den Dingen, die uns verbinden!
Vor vielen Jahren schon, habe ich auf die politischen Veränderungen in Ungarn, der Türkei und in Russland hingewiesen. (…) Diesen kulturellen Dialog zu befeuern, ist mein großes Anliegen.“
Hast Du als Musiker etwas zur Verständigung der Länder untereinander beitragen können?
Ich habe das große Glück, einer der wenigen deutschen Musiker zu sein, der mehr im Ausland unterwegs ist und auch in vielen Ländern eine große Fan-Base hat. In der Türkei bin ich ein „Star“. Vor vielen Jahren schon, habe ich auf die politischen Veränderungen in Ungarn, der Türkei und in Russland hingewiesen. Als Musiker sind meine Möglichkeiten begrenzt auf politische Missstände hinzuweisen. Dennoch reise und performe ich weiterhin viel in Russland, der Türkei und dem Nahen Osten. Diese Länder sind wie eine zweite Heimat für mich und ich habe dort sehr viele soziale und politische Kontakte. Diesen kulturellen Dialog zu befeuern, ist mein großes Anliegen.
Es gibt ganz wenige Künstler die sich im europäischen Kontext bewegen.“
Was verbindet Künstler in ganz Europa miteinander?
Nach meiner Erfahrung leider nicht wirklich viel, es gibt ganz wenige Künstler die sich im europäischen Kontext bewegen. Für viele DJs macht es heute kaum noch einen Unterschied, ob sie in Berlin, Beirut oder in Paris spielen. Es geht nur noch ums Business und in den Clubs von Europa treten immer wieder dieselben üblichen Verdächtigen auf. Der Sound ist dadurch ziemlich gleichförmig geworden, besonders in der Techno-/ Elektro-Szene. Mich interessieren die spannenden Off-Locations, diese ganzen interdisziplinären Aktivitäten. Da lade ich auch immer wieder viele Acts zu mir ins Studio ein. Mein letztes Album habe ich zum Beispiel 2014/15 komplett in Athen produziert, fast ein Jahr lang hatte ich dort gelebt und gearbeitet, das hat aber in Deutschland niemanden interessiert, ähnliches könnte ich über meine Zeit in Istanbul oder Tel-Aviv erzählen.
Europa ist für mich eine Wertegemeinschaft. Wir stehen für die offene und grenzenlose Gesellschaft.“
Was bedeutet Europa für Dich?
Europa ist für mich eine Wertegemeinschaft. Wir stehen für die offene und grenzenlose Gesellschaft. Wir müssen die Presse- und Medienfreiheit schützen. Die freie Rede und die Unantastbarkeit der menschlichen Würde respektieren, egal welcher Nation und Hautfarbe. Rassismus, Sexismus und Abgrenzung, haben bei uns keinen Platz. Deshalb gehe ich auch immer wieder sehr hart ins Gericht mit den Regierungen in Ungarn, Polen und der Tschechischen Republik. In Ungarn auf dem Sziget Festival wollte man mir mal bei einer Radio-Show einen Maulkorb verpassen, das habe ich scharf kritisiert. Seitdem werde ich dort als Künstler nicht mehr eingeladen.
Angst und Nationalismus dürfen nicht zum politischen Tagesgeschäft erklärt werden.
Wie wünschst Du Dir als Musiker, unser Europa in Zukunft?
Ich bin dennoch sehr optimistisch, Europa wird gerade jetzt eine stärkere, weltpolitische Rolle spielen. Es findet ein Paradigmenwechsel statt. Davon werden wir profitieren! Angst und Nationalismus dürfen nicht zum politischen Tagesgeschäft erklärt werden. Daran arbeiten wir. Als Touringartists und Performer. Ich denke mal die Zukunft wird spannend – und wir sind Teil davon.
Das Interview wurde anlässlich des popdeurope Festivals geführt. Mehr Infos zum Festival gibt es in unserem Pressbereich. Shantel ist Headliner beim popdeurope Festival. Am 3. September um 19 Uhr ist er live in der Arena auf der Internationalen Gartenausstellung 2017 zu erleben.