Die Buchautorin und Journalistin Vanessa Vu schreibt zusammen mit ihrem Mann Ahmad Katlesh, darüber, wie es ist, sich fremd zu fühlen und zugleich eine neue Heimat zu finden. Das Editorial zum Sống ở Berlin Festival.
Seit ich meinen syrischen Mann kennengelernt habe, entdecken wir eine überraschende Gemeinsamkeit nach der nächsten. Wenn ich ihm zum Beispiel vietnamesisches Essen zeige, gehen auch seine Kindheitserinnerungen an: Bánh mì, also «pain de mis», haben die Franzosen nicht nur nach Vietnam, sondern auch nach Syrien gebracht. Beide Länder standen unter französischer Kolonialherrschaft und passten das längliche, außen knusprige und innen luftig-weiche Weizenbrötchen ihren lokalen Vorlieben an: Die Vietnamesen belegten es mit Hähnchenleberpastete, fermentierten Karotten- und Rettichstreifen sowie frischen Kräutern, und die Syrer stecken Falafel, Tomaten und Tahini rein. Ich staunte auch nicht schlecht, als mein Mann die für mich typischen Phở-Zutaten wie Zwiebeln, Ingwer, Zimt und Pfeffer in eine Rinderbrühe warf, um Maqloube zu kochen, ein levantisches Reisgericht. Für uns beide geht außerdem nichts über frischen, eisgekühlten Zuckerrohrsaft!
Aber es geht noch weiter: Mein Vater liebt Jasminblüten. Er hat einen kleinen Strauch aus Vietnam mitgebracht, pflegt ihn liebevoll und erzählt mir am Telefon immer stolz, wenn das ganze Wohnzimmer danach duftet. Gleichzeitig ist Jasmin offenbar die Symbolblume der Stadt Damaskus, wo mein Mann geboren und aufgewachsen ist.
Es ist schon erstaunlich, welche Welten sich öffnen können, wenn man einmal den weißen Blick außen vor lässt und einfach die Augen und Ohren offen hält. Ich bin 1991 in Bayern geboren und mehr oder weniger ohne Menschen mit Migrationshintergrund um mich herum aufgewachsen. Es gab natürlich welche im Asylbewerberheim, aber spätestens ab dem Gymnasium und an der Uni wurden es immer weniger. So habe ich mich bis in meine Zwanziger hinein immer nur in Relation zu den weißen Menschen verstanden, die mich umgaben. Ich habe mich mit ihnen verglichen und mich ihnen erklärt, mich und meine Familie und alle anderen “Ausländer”. Wenngleich es mir gut gelang, war es eine einsame und zermürbende Angelegenheit, ständig die Ausnahme zu sein und sich zu rechtfertigen.
Was mir damals fehlte, dämmerte mir erst allmählich im Studium, wo ich mich mit Vietnam und der vietnamesischen Diaspora auseinandersetze. Richtig verstanden habe ich es aber mit “Rice and Shine”: Durch den Podcast trafen Minh Thu Tran und ich auf viele Menschen, die uns ähnlich sahen und deren Eltern teilweise ebenfalls aus Vietnam kamen. Wie wir erlebten sie in ihrer Kindheit Ausgrenzungen und Demütigungen, machten ab ihrer Jugend die Erfahrung der Exotisierung und Fetischisierung, hörten vergiftete Komplimente.
Viele sind aber auch wie wir auf Sinnsuche gegangen. Manche haben dadurch ein neues Selbstbewusstsein entwickelt oder gehen kreativ mit Identitätsfragen um. Es war eine unglaublich bereichernde Erfahrung, diese Community aufzubauen. Ähnlichkeit euphorisiert. Sie bringt Menschen zusammen. Das ist heilsam wie verführerisch.
Es kann aber auch schnell unangenehm werden, wenn vor lauter Ähnlichkeit kein Platz mehr für Differenz bleibt. Wenn man sich eine neue Schublade schafft und sich darin einrichtet, seltener nach rechts und links blickt oder selbstkritisch auf sich selbst. Wenn es plötzlich mehr Antworten gibt als Fragen.
Wenn ich etwas in all den Jahren meiner Beschäftigung mit Herkunft und Identität gelernt habe, dann: Dass wir, die “Anderen”, so vielfältig sind wie alle anderen Menschen auch – und dass das ein unermesslicher Schatz ist, der uns so selten zugestanden wird, dass wir die Vielfalt selbst schnell übersehen, wenn von “den Vietnamesen”, “den Arabern” oder “den Migranten” die Rede ist. Dabei ist beides möglich: über Gemeinsamkeiten zusammenzufinden und dann im Vertrauen die dahinterliegende Vielfalt erkunden. So mache ich das auch mit meinem Mann. Wir lernten uns über die Liebe zum Tanz und zum geschrieben Wort kennen, im Alltag zelebrieren wir jedoch unsere Unterschiedlichkeit. Zum Beispiel essen wir beide gerne Reis, aber ich koche nur Jasminreis und er Basmatireis. Unserer Ehe schadet es nicht, im Gegenteil. Ich habe nie so gut gegessen wie mit ihm.
Es gibt ein schönes Interview mit dem Schriftsteller Viet Thanh Nguyen. Dem Magazin Daily Trojan sagte er: „Wenn man von außerhalb kommt, als eine Art entmachtete, marginalisierte Minderheit, dann kann man den Druck verspüren, sich selbst und seine Kultur zu erklären, sich selbst, seine Sprachen, seine Bräuche und so weiter und so fort zu übersetzen – das ist etwas, dem jeder Schriftsteller unbedingt widerstehen muss (…) Wenn ich sage, ‘Schreibe wie eine Mehrheit’, dann meine ich nicht, ‘Schreibe wie ein Weißer’. Ich meine: ‘Schreibe so, als würden wir zu uns selbst sprechen, und lass alle anderen gern aufholen’. So entsteht interessante Kunst, und hoffentlich sogar große Kunst.“
Das Selbstverständnis wünsche ich uns allen, die aus einer Minderheitenperspektive Neues schaffen. Da sind so unfassbar viele gute Geschichten, Melodien, Worte, Bilder, Gerüche, Geschmäcker. Wir müssen nur innehalten, ihnen vertrauen, und uns nicht nur trauen, anders zu sein, sondern es auch zu feiern.