Ein Deep Dive in die Setlist am 22.03.2025
Musik. Berlin. Peter Fox. Es gibt wenige bis keine Artists, die das Lebensgefühl in Berlin treffender in zwölf Lieder gepackt haben, als es dem Seeed-Sänger 2008 mit seinem ersten Soloalbum „Stadtaffe“ gelungen ist. „Alles neu“ war nicht nur der Opener diese epochalen Albums. Das Lied steht auch am Anfang der Earth Hour 2025, hakt die Demonstrierenden emotional unter und motiviert die Handelnden mit seinem unbändigen Aufbruchsgesit. Der Song von Peter Fox, gesungen vom Berliner Kneipenchor, eröffnet den Abend kraftvoll und energisch – ein Song über Aufbruch, Veränderung und Neuanfang. Genau das brauchen wir, wenn es um den Klimaschutz geht: den Mut, neue Wege zu gehen.
Grauer Beton
Mit „Grauer Beton“ von Trettmann werfen wir einen Blick auf die grauen Seiten der Stadt und erinnern uns daran, wie wichtig es ist, mehr Grün in unsere Umgebung zu bringen und Lebensräume zu schützen. Der Beton in Trettmanns spätem Breakthrough-Hit steht für die Trostlosigkeit zerwohnter Städte und versiegelter Flächen. Die Tristesse der Farbe und Formen, die reduzierte Musik, die desillusionierten Lyrics spiegeln uns mahnend wider, wie unwiederbringbar die Versiegelung von Natur und naturnahem Leben ist und welche gesellschaftlichen Folgen es hat, wenn nicht das Wohl der Menschen im Einklang mit der Natur im Vordergrund steht.
Alles Gute
Sicher – es gibt tröstlicher Szenarien als jenes, das Faber in seinem Song „Alles Gute“ zeichnet. Hier ist die Rede von einem Menschen, der sich selbst nicht mag, dessen überzeichneter Selbsthass sich in einer enger werdenden Spirale zu drehen scheint, die ihn schlussendlich am Boden zurücklässt. Aber: gehört der Mensch wirklich dort hin? Auf den Boden? Ist der Wunsch im Refrain nicht auch ein hoffnungsvoller? Ein Zeichen, dass es zumindest vom Boden aus gesehen nur eine Richtung gibt: die nach oben. Vorausgesetzt, man ist bereit, die Herausforderungen unserer Zeit anzunehmen und nicht wegzuschauen, wenn es eigentlich entschlossenes Handeln braucht.
What a Wonderful World
„What a Wonderful World“ von Louis Armstrong ist heutzutage ein absoluter Klassiker der Musikgeschichte, sorgte bei seiner Entstehung aber zu einem klassischen Zwist zwischen Künstler und Plattenfirmenboss. Letzterer hieß Harry Newton und wollte einen swingenden Pophit, keine wohlige Ballade, die einen bewusst harmonischen Kontrapunkt zu den politischen und menschlichen Katastrophen der späten Sechzigerjahre setzte: Vietnam und die Attentate auf Kennedy und Martin Luther King waren die blutige Leinwand, vor der Louis Armstrong eine andere Vision der Welt aufzeigte. In den USA verkaufte die Single zunächst weniger als 1000 Exemplare. In UK ging sie aber direkt auf Platz 1 und machte Louis Armstrong zum ältesten Menschen, der bis dahin diese Spitzenposition besetzte – ein schönes Beispiel für Altersinklusion. Ebenso wie die Aufnahme ein gelungenes Beispiel für Shared Economy war: Um sicherzugehen, dass alle Musiker seines Orchesters fair bezahlt wurden, nahm Louis Armstrong nur 250 Dollar Gage und ließ den Rest des Geldes unter den Musikern aufteilen.
Nur noch kurz die Welt retten
Die vermeintliche Zeitökonomie in „Nur noch kurz die Welt retten“ führt zum genauen Gegenteil dessen, wovon Tim Bendzko hier singt. Während seine Liebsten mit dem Essen auf ihn warten – oder eben schon anfangen müssen, checkt er noch 148 Mails, zeigt Omnipräsenz und ist jederzeit on alert. Falls, ja falls die Welt eben doch noch schnell von einem Bürohengst, pardon, Superhelden gerettet werden muss. Doch mit jeder Zeile wird klarer: mit einer Soloshow ist der Welt nicht geholfen. Erst das Miteinander und die gemeinsame und abgesprochene Aktion, die Kraft der Vielen wird eine Dynamik entwickeln, die am Ende die Superpower sein kann, um die Welt auch wirklich kurz vor knapp noch zu retten.
Imagine
„Imagine“ ist nicht nur einer der bekanntesten Songs von John Lennon (was an sich schon etwas heißen will bei einem Mann, der Welthits wie am Fließband schrieb…), sondern auch eine der Sollbruchstellen vom Weg des Rocker-Machos John Lennon zum sensibleren Mann, der lernte anzuerkennen, dass auch Frauen – in diesem Fall seine Frau und Muse Yoko Ono, ihren Platz im Vordergrund und im Scheinwerferlicht verdienen. Die einfache Klarheit der Gedanken und Worte. Der Call to action, sich einfach vorzustellen, wie es wäre in einer Welt voller Frieden zu leben, trägt ganz deutlich die Handschrift der Allround-Künstlerin Yoko Ono – was John Lennon erst später zugab und sich im Nachhinein ärgerte, sie nicht als Co-Autorin genannt zu haben. „Imagine all the people, living live in peace“ – Zeilen, die auch heute wieder eine tragische und doch so wichtige Bedeutung und Aktualität haben.
Deine Schuld
Die Ärzte fragen in „Deine Schuld“, wer die Verantwortung trägt – und erinnern uns daran, dass wir alle Teil der Lösung sein können, wenn wir Verantwortung übernehmen. Der Song spricht für sich selbst: Hast du dich heute schon geärgert, war es heute wieder schlimm | Hast du dich wieder gefragt, warum kein Mensch was unternimmt | Du musst nicht akzeptieren, was dir überhaupt nicht passt | Wenn du deinen Kopf nicht nur zum Tragen einer Mütze hast… Es nicht Deine Schuld, dass die Welt ist wie sie ist“, singt die Band aus Berlin. „Es wär nur Deine Schuld, wenn sie so bleibt.“ Ein Plädoyer dafür, den Ar… hochzukriegen, kompakt geklopft in klassischer Punkrocksinglelänge von 3 Minuten und 35 Sekunden.
Für immer Frühling
Den dystopischen Zuständen unserer aktuellen Welt setzt Soffie eine energische Utopie entgegen. Was für ein wichtiger Ansatz inmitten all der Meckerei, Schwarzmalerei und permanenter Krawall-Hysterie. „Für immer Frühling“ flutet die Kanäle der Kommunikation mit positiven Gedanken und Bildern und das brauchen wir so dringend wie die Blumen die Sonne brauchen. Mit diesem Song feiern wir die Hoffnung und die Kraft des Neubeginns. Der Frühling steht sinnbildlich für die Erneuerung und das Aufblühen – genau das, was wir uns für unseren Planeten wünschen. Eine Flut positiver Gedanken, die die Seele überschwemmen anstelle der echten Fluten, die durch Naturkatastrophen ausgelöst werden.
People Have The Power
„People Have The Power“ von Patti Smith gibt uns Mut und erinnert uns daran, dass wir gemeinsam eine starke Stimme haben – eine Stimme, die Veränderung möglich macht. Patti Smith und ihr mittlerweile verstorbener Mann, Fred „Sonic“ Smith wollten 1988 einen Song schreiben, der die Zuhörer*innen an ihre individuelle Kraft erinnert, Dinge zu ändern. Aber auch an die kollektive Kraft von Menschen, die aus dieser Kraft heraus einfach alles bewegen können. Es ist eine Einladung an die Menschen, zusammen zu kommen und diese Kraft zu feiern. Für die Autorin ging es im Text konkret um den Kampf gegen Vorurteile, gegen Kriege und für eine saubere Umwelt. Fred Smith hat diese Kraft nicht mehr erlebt. Aber Patti Smith sagt, dass sie es oft und mit Freude erlebt hat, dass „People Have the Power“ spontan auf großen Protestkundgebungen gesungen wurde. Sie selbst hat ihn auch immer wieder zu bedeutenden Anlässen wiederbelebt: 2018 und 2020 als Aufruf, für die Demokratie und gegen die düstere Vision des „american carnage“ zu wählen. 2020 war der Song der Soundtrack zur New Yorker Klimawoche. Und in Paris spielte U2 das Lied mit Patti Smith und den Eagles of Death Metal, die zum ersten Mal wieder auf eine Bühne der französischen Hauptstadt standen nach den Terroranschlägen auf das Bataclan, wo die Eagles of Death Metal an diesem Abend ein Konzert geben wollten.
Viva la Vida
Und zum Abschluss feiern wir das Leben mit „Viva la Vida“ von Coldplay. Der Titel ist einem Bild von Frida Kahlo entlehnt, die den Verletzungen und Lähmungen und Schmerzen, die sie in Folge eines Verkehrsunfalls erlitt, mit unerschütterlicher Positivität trotzte – auch wenn sie diese dem Elend ihres Zustandes oft mit Ironie und Zynismus abtrotzen musste. Lang lebe das Leben – Viva La Vida hieß das gigantische Gemälde, das Frida Kahlo in ihrem Haus malte, das zugleich so etwas wie ihr Gefängnis war. Chris Martin von Coldplay war tief beeindruckt von dieser Geschichte. So tief, dass er sie zum Kern seiner Lyrics für den Welthit machte.