700 Musiker:innen spielten am 9. November gleichzeitig entlang des 4 Kilometer langen, ehemaligen Mauerverlaufs. In diesem neuen Beitrag von Björn erfahrt ihr mehr über die 8 Songs vor, die das Line-Up zum 35 jährigen Mauerfall-Jubiläums bildeten.
Den ersten drei Songs des Line-Ups haben wir Euch im letzten Blogbeitrag bereits vorgestellt, hier folgen Song Nummer 4 und 5.
S.O.S. – SILLY (1988)
Es war eine handfeste Sensation und ein komplettes Novum: Das Album „Februar“ der Ost-Berliner Band Silly sollte im Februar 1989 zeitgleich in der DDR und der BRD erscheinen. Die 1978 gegründete Band mit der Sängerin Tamara Danz zählte seit vielen Jahren zu den erfolgreichsten Acts der DDR, durfte auch im Westen Tourneen spielen und hatte seit dem Zugang des Gitarristen Uwe Hassbecker 1986 ihre bekannteste und kreativste Besetzung gefunden. Die Texte für „Februar“ entstanden erstmals ohne den bisherigen Texter Werner Karma, der viele subtile Botschaften und Kritikpunkte gegen die Zustände in der DDR elegant zwischen den Zeilen formulierte. Auf „Februar“ wurden die Texte expliziter, die Kritik deutlicher, die Warnung vor der Entfremdung zwischen politischem Apparat und der Bevölkerung immer lauter. Neben „Verlorene Kinder“ und „Alles wird besser“ (aber nichts wird gut) ist „S.O.S.“ die klarste Beschreibung der Umstände: Das Land als ziellos treibendes Schiff, das Politbüro als Bordkapelle, die immer noch spielt und der Bevölkerung kostenloses Essen ausgibt, während diese an Kompass und Ruder ran will. Während das Album „Zwischen unbefahrenen Gleisen“ (1984) aufgrund seiner Texte von der DDR-Plattenfirma AMIGA noch mit einem Veröffentlichungsverbot belegt wurde, schien die gleichzeitige Veröffentlichung von „Februar“ in beiden deutschen Staaten die Zensur außer Kraft zu setzen. Silly positionierte sich als politische Band und „Februar“ als eines der wichtigsten Wende-Alben. Im September 1989 unterzeichnete die Band die „Resolution von Rockmusikern und Liedermachern zur inneren Situation und zum Aufruf des Neuen Forums“ für mehr Freiheiten in der DDR und las den Text auf allen Konzerten vor, um den Gedanken und Forderungen Öffentlichkeit zu verschaffen. Am 15. Oktober spielten Silly gemeinsam mit anderen bekannten Künstler*innen das „Konzert gegen Gewalt“ in der Erlöserkirche in Lichtenberg. Drei Tage nach dem Mauerfall trat die Band mit Joe Cocker, Bap und vielen anderen auf dem großen Mauerfall-Konzert in der Deutschlandhalle auf. Nach dem Mauerfall und bis zu ihrem Tod 1995 setzte sich Tamara Danz an Runden Tischen und in vielen Gesprächen für ein anderes Gesellschaftsmodell in der DDR und gegen den Anschluss der DDR an die Bundesrepublik Deutschland ein.
HEROES – DAVID BOWIE (1977)
“The big hall by the wall” ist der Spitzname des Hansa Studios in der Köthener Straße, das 1974 bei seiner Eröffnung ein eher heruntergekommener Gebäudekomplex war, mit dem Meistersaal aber einen fantastisch klingenden Raum hatte. Hier nahm David Bowie mit Brian Eno und Tony Visconti die Songs und Alben seiner Berlin Trilogie auf. Der größte Hit aus dieser Zeit ist natürlich „Heroes“ – der Titel wurde von Bowie bewusst in Anführungsstriche gesetzt, um sich ein Stück weit von Pathos und Romantik der Liebesgeschichte eines Pärchens im Schatten der Berliner Mauer zu distanzieren. Die Mauer war zu dieser Zeit keine 200 Meter vom Hansa Studio entfernt. Bowie schaute auf den „antifaschistischen Schutzwall“ ebenso tagtäglich wie auf einen Wachturm der DDR-Grenztruppen, auf dem er ein Geschütz erkennen konnte. Er fragte sich, warum sich ein Liebespaar ausgerechnet diesen Ort für ein Rendez-vous aussuchte und schrieb den Text, mit dem er das Paar zunächst aufgrund seiner unerschütterlichen Liebe zu Helden des Alltags macht: „we can be heroes just for one day“. Doch im Schatten der Mauer und mit „guns shot above our heads“ wird „Heroes“ automatisch zu einer Hymne in der Zeit des Kalten Krieges und die Hoffnung, dass die „heroes just for one day“ auch politische und gesellschaftliche Held*innen werden, muss noch um eine weiteres Jahrzehnt vertagt und verschoben werden.