Über die beeindruckendsten Künstler und Platten des Printemps de Bourges 2017
Lamomali
Matthieu Chédid & Toumani Diabaté
Der eine ist Grammy-Preisträger, Griot und damit ein hoch geachteter Musiker und Erzähler, dessen Familiengeschichte sich über 70 Generationen lang verfolgen lässt. Der andere tritt gern in rosafarbenen Anzügen auf, bei denen auch Elvis modetechnisch hätte schwach werden können, und strafft die Haare bisweilen in eine aufrechte Firestarter-Position. Beide sind Stars in ihren jeweiligen Welten. Der Griot, Toumani Diabaté, gilt als weltbester Virtuose auf der Kora, der westafrikanischen Mischung aus Gitarre, Laute und Harfe. Der pinke Rockstar, Matthieu Chédid aka –M-, spielt seine exzentrischen Rockshows im frankophonen Raum in den großen Sportarenen. Chédid hat zwar ägyptisch-libanesische Wurzeln, ist aber seit vielen Jahren von der Musik Malis begeistert. Diabaté wiederum liebt Rockmusik, bekennt sich freimütig dazu, in seiner Jugend Scorpions-Fan gewesen zu sein und hat unter anderem Blues-Platten mit Taj Mahal aufgenommen. Die beiden Freunde haben jetzt mit Lamomali das Album aufgenommen, das sie schon immer machen wollten. Gäste sind unter anderem Damon Albarn, Amadou & Mariam, Santigold oder der brasilianische Superstar Seu Jorge. Entstanden ist eine sensible, tanzbare, respektvolle neue Musik, die im besten Sinn Pop ist: eingängig, melodisch, zum Mitsingen einladend – auch wenn man die Texte oder gar die Sprache nicht kennt. Die Musik der Griots aus Mali ist eben keine Sache der Vergangenheit sondern der Gegenwart, zu der auch gerappte Vocals und elektronische Uptempo Beats passen.
M – MOJO:
Far From Home – Calypso Rose
Liner-Notes-Kriminologen finden ihren Schlüsselreiz binnen Sekunden: „Manu Chao“ steht da als Sänger, Saitenspieler und Co-Produzent. Aber darum geht es hier nicht. Es geht um Linda McArtha Monica Sandy-Lewis, die der Welt unter ihrem Künstlernamen Calypso Rose besser bekannt ist. 800 Songs hat die in Bethel Village, Tobago, geborene Sängerin geschrieben und sie auf 20 Platten veröffentlicht. Beides wird Manu Chao nicht schaffen, wenn er seinen Super-Slow-Mo-Veröffentlichungszyklus beibehält, den er sich als Solokünstler angewöhnt hat – selbst wenn er so alt wird, wie Calypso Rose schon jetzt ist: Am 27. April 1940 wurde sie geboren und sie steht noch heute auf Bühnen und in Studios. Ihr neues Album „Far From Home“ ist Calypso in bestem Sinn: Karneval, Party, Bläsersätze und – in diesem speziellen Fall – immer wieder die Signature-Sounds von Manu Chao. Aber natürlich auch Troubadour-Musik: Erzählungen – mal traurig, mal euphorisch, immer persönlich. Hotlist für das Sommeralbum des Jahres 2017.
Calypso Rose – Leave Me Alone feat. Manu Chao:
By Any Beats Necessary – Wax Tailor
Jean-Christophe Le Saoût ist das Gegenteil des einsamen Studio-Fricklers, der sein Studio bestenfalls zum Luftholen verlässt und auch das für überflüssigen Luxus hält. Der Mann, der seit gut 15 Jahren den nom de guerre Wax Tailor trägt, lädt sich liebend gern Gäste ein – zu seinen bisher fünf Alben ebenso wie zu seinen beeindruckenden Live-Shows, wo er seine Ennio-Morricone-Interpretation von HipHop gern mit Cello, Querflöte und wechselnden Vokalisten präsentiert. „By Any Beats Necessary“ ist das fünfte Solo-Werk des ehemaligen Radiomoderators, der bei der schwedischen Crew Looptroop die ersten Erfahrungen als Produzent und Band-Mitglied gesammelt hat. Schon das Route-66-artige Cover schickt uns Richtung Spaghetti-Western, die Musik ist angelegt wie ein Hiphop-Roadmovie mit tausend Verweisen, Zitaten, Referenzen, großflächigen Spielereien die an die Glanzzeit des Triphop erinnern (natürlich ist Tricky unter den Gastsängern) und ihn – falls das möglich ist – mit noch mehr Patina überziehen. Referenz-Titel für diesen Sound ist „My Burn“, das vom Cello und fragilen Gesangstupfern geprägt wird. Dazu passend, aber eine andere Seite der Medaille: „Worldwide“, das Feature von Gostface Killah, das natürlich mehr Hip- als Trip Hop ist, trotzdem extrem gut mit Querflöte und Twäng-Gitarre auskommt.
Wax Tailor feat. Lee Fields – The Road is Ruff: