Wir freuen uns sehr, die Vinyl-Ausstellung „Bone Music“ vom 13. August bis zum 5. September 2021 in Berlin zu präsentieren. Wir wollen die Geschichte von einem schier unglaublichen Phänomen erzählen. Die Vinyl-Ausstellung findet an einem spannenden Ort, der Villa Heike in Hohenschönhausen, in direkter Nachbarschaft der Gedenkstätte im ehemaligen Stasi-Gefängnis-Hohenschönhausen statt. Kuratoren der Austellung sind Stephen Coates (UK) und Sergey Korsakov (RUS). Der Hauptstadtkulturfond und das Bezirksamt Lichtenberg sowie dasAmt für Weiterbildung und Kultur sind Förderer. Der Eintritt ist frei.
Vinyl-Ausstellung: Was würdest Du für Musik tun?
Musik ist im Zeitalter der Streaming-Plattformen zu einem jederzeit verfügbaren Alltagsgut geworden. Sie ist immer, überall und oft auch kostenfrei verfügbar. Wir können Musik zu jeder Zeit an jedem Ort hören. Auch, wenn uns die Corona-Krise zeigt, wie sehr wir Live-Musik und Kulturerlebnisse vermissen – im Netz sind unsere Lieblingssongs jederzeit mit drei Klicks erreichbar.
Zu Zeiten des Kalten Krieges war das in vielen Teilen der Welt anders. Die Jugendkultur in der Sowjetunion etwa war staatlich organisiert und damit stark reglementiert. Der Zugang zu westlicher Musik blieb versperrt. Ebenso der Zugang zu vielen Liedern der regionalen Volksgruppen des Vielvölkerstaates war für viele junge Menschen unerreichbar.
Röntgenbilder als Tonträger der Subkultur in der Vinyl-Ausstellung
Doch eine Gruppe musikbegeisterter junge Menschen kam auf die geniale, riskante Idee, der Zensur zu trotzen. Sie stellten ihre eigenen Platten her und vertrieben sie. Um unterhalb der Wahrnehmungsschwelle eines brutal repressiven Regimes zu arbeiten, bauten sie ihre eigenen Aufnahmegeräte. Unter den vielen Besonderheiten dieser Geschichte ist das Medium, mit dem die Schmuggler aufnahmen, das bemerkenswerteste. Sie benutzten Röntgenbilder, die sie illegal aus Krankenhäusern bezogen und auf Schallplattenformat geschnitten hatten. Dass man sie fasste und inhaftierte, hielt sie nicht davon ab weiterzumachen. Trotz des Kalten Krieges hatten sich die Vinyl-Pressungen auf Röntgenaufnahmen unter den Musikfans dieser Tage längst wie ein Lauffeuer verbreitet.
Vom 13. August bis zum 5. September erzählt das X-Ray Audio Projekt diese unglaubliche Geschichte mit Live-Veranstaltungen, Installationen und einer immersiven Vinyl-Ausstellung. Ausgetsellt werden Originalartefakte, Archivmaterial, Film, Musik und Bilder. Diese schwören den kulturellen, technischen und historischen Kontext der verbotenen Musik in der Sowjetunion der Ära des Kalten Krieges herauf.
Warum BONE MUSIC nach Berlin kommt
Eine unserer wichtigsten Forschungsquellen, Mikhail, ein sowjetischer Schmuggler, entdeckte und verliebte sich in den Ruinen Berlins erstmals in den Jazz. Er war als Kind mit seinen Eltern und der Roten Armee dort. Wir erzählen seine Geschichte von dieser Entdeckung bis zu der Zeit, in der er seine eigenen Platten herstellte. Auf den Straßen Moskaus handelte er mit Jazz auf Röntgenbildern. Auch in der DDR wurde über das staatliche Plattenlabel AMIGA und die begrenzte Anzahl an Veröffentlichungen pro Jahr eine ideologisch motivierte Kulturzensur und Einschränkungen betrieben. Diese war vergleichbar zu denen in der Sowjetunion. Die ersten Aufnahmegeräte, die die Leningrader Schmuggler benutzten, waren deutsche. Es waren Telefunken-Aufnahmedrehmaschinen, die bei Kriegsende aus Berlin abtransportiert und in die UdSSR gebracht wurden. Außerdem kopierten sie Neuman-Drehmaschinen, um ihre eigenen DIY-Versionen herzustellen. Der Röntgenfilm selbst, der zum Medium der Raubkopien wurde, war eine Erfindung von Wilhelm Röntgen. Dieser wurde genau 100 Jahre vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs geboren wurde.
Eröffnungswochenende der Vinyl-Ausstellung 13. – 15. August
Vielleicht fragt Ihr Euch jetzt, wie das funktioniert hat? Und wie war es eigentlich mit der Zensur in Deutschland? Wer entscheidet heute über die Grenze zwischen Allgemeingut und künstlerischer Freiheit?
Fragen, wie diesen, geht die Ausstellung nach. Ebenso die Podiumsgespräche mit unterschiedlichsten internationalen Gästen. Bei den X-Ray Cabarets werden Musiker:innen bei Live- Auftritten aufgenommen. Diese Tonaufnahmen werden mit einem alten Vinylschneidegerät auf Röntgenbilder gepresst.
Jetzt schon mehr erfahren? Dieser Ted-Talk von Stephen Coates nimmt Euch mit in eine der Schmugglerstuben in der Sowjetunion der 1950er Jahre: