Beim Kauf einer Platte ist das Cover immer der erste Berührungspunkt. Es zieht mich in seinen Bann, oder nicht. Ich verbringe gerne Zeit bei Dussmann, indem ich durch die Musikabteilung schlendere und Platten nach ihren Artworks entdecke. Dabei vergesse ich die Zeit. All die Cover zeigen beeindruckende Gesichter, unterschiedliche Vibes einer Zeit und sind Zeugnisse von Kunstströmungen. Eines der berühmtesten Beispiele dafür ist wohl das Debütalbum von The Velvet Underground & Nico mit der gelben Siebdruck-Banane Andy Warhols. Die Reproduzierbarkeit des Kunstwerkes par excellence. Durch Plattencover zu stöbern, bedeutet: abtauchen in ferne und nahe Identitäten, Styles und Lebensgefühle. Und ein – für jeden ganz individuell – ansprechendes Artwork schürt definitiv die Vorfreude auf das runde Medium innerhalb des eckigen Kartons!
Total Records, Total Art!
Die Ausstellung Total Records im c/o Berlin zeigt, wie eng die Musik- und Fotogeschichte des 20. Jahrhunderts miteinander verwoben sind. Noch bis zum 23. April 2017 sind im Ausstellungshaus c/o rund 400 Plattencover aus den 1960ern bis in die 2000er zu sehen – darunter ganz Bekanntes, wie das hinter einer Dollar-Note her schwimmende Baby (Nirvanas „Nevermind“) oder die vier Beatles auf dem berühmten Zebrastreifen („Abbey Road“). In der Ausstellung wird einem schnell klar, die Fotografen hinter den Plattencovern lesen sich wie das Who is Who der Fotografiegeschichte des 20. Jahrhunderts: Annie Leibovitz fotografierte das Cover für Cyndi Lauper’s Debütalbum „She’s So Unusual“ – eine ironische Foto-Komposition mit der Sängerin in rotem Flamenco-Kleid vor einem in die Jahre gekommenen komplementär blauen Gebäude. Irving Penn inszenierte für das Artwork von „Tutu“ eindrucksvoll die Hände von Miles Davis und Jeff Walls portraitierte Iggy Pop vom Leben gezeichnet in einem Apartment in Vancouver. Außerdem: Helmut Newton (INXS – Please), Anton Corbijn (U2), Bernd & Hilla Becher (Kraftwerk) und viele, viele mehr.
Kunst auf 30 x 30 Zentimetern
Dabei erzählt „Total Records“ schön, dass längst nicht alle Plattencover als Auftragsarbeiten entstanden sind. Immer wieder begaben sich Musiker auf die eigene Suche nach einem passenden Kunstwerk für ihr Cover. So auch Tom Waits, der für „Rain Dogs“ bei dem schwedischen Fotografen Anders Petersen in dessen Bildreihe „Cafe Lehmitz 1967-1970“ aus Hamburg fündig wurde. Das Foto zeigt einen halbnackten Mann, der sich melodramatisch an eine Frau klammert, die wiederum wie ein Fels in der Brandung wirkt und aus vollem Herzen lacht. Er wirkt wie ein Betrogener der Großstadt, der Schutz in der Kneipe findet – eine Romantik des Abgrundes.
Besonders gut hat mir der Berlin-Schwerpunkt aus den 70ern und 80ern gefallen! Einer der wohl bekanntesten Cover-Fotografen Berlins ist Jim Rakete, der mehr als 350 Motive gestaltete.Vor allem inszenierte er Künstler der Neuen Deutschen Welle mit minimalistischen Schwarz-Weiß-Portraits. Darunter Cover-Fotografien für Nena, Nina Hagen, Herbert Grönemeyer oder die Ost-Berliner Band Silly. Das Vakuum West-Berlins in den 80er Jahren brachte eine faszinierende Kreativszene hervor. Eine Zeit, die musikalische Avantgarde, Galerien, Magazine, Plattenlabels und illegale Kneipen hervorbrachte. Eine Zeit des Aufbruchs der elektronischen Musik. “Total Records” zeigt ein paar Coverfotografien der Künstlergruppe „Geniale Dilletanten“ – darunter Cover von Gudrun Gut, Malaria!, Blixa Bargeld und Die Tödliche Doris. Als gemeinsames Nebenprojekt gründeten Gudrun Gut und Mark Eins Din A Testbild, das als Soloprojekt von Eins bis heute existiert. Ihr Album “Programm 3” (1982) zeigt eine Frau im Scheinwerferlicht eines Projektors, das verschlungene Schwarz-Weiß-Muster bricht sich auf ihrem Körper und zersplittert hinter ihr auf der Wand in seine Fragmente. Das Zwielicht der Nacht perfekt eingefangen. Ein anderes Seitenprojekt von Gudrun Gut war die Frauenband Malaria!. Das Cover von “Beat the Distance” (1984) hält den Moment kurz vor dem Kuss zwischen einem nackten, jungen Punk-Paar inmitten von Beton für immer fest. Ich überlege, ob es zu diesem Kuss je gekommen ist.
Ich neige gerne mal dazu, es zu bedauern, dass ich dieses Berlin nicht miterlebt habe. Aber das ist natürlich Quatsch! Genauso wie es Quatsch ist, dass Plattencover im digitalen Streaming-Zeitalter keine Relevanz mehr haben. Erst vor kurzem habe ich mir die 7inch-Vinylsingle “Das Lied dieser Welt” von Gisbert zu Knyphausen bei einem seiner Berlin-Konzerte gekauft. Eigentlich ist es ein Kinderlied – um genau zu sein, der Soundtrack zu Andreas Dresens neuem Kinderfilm “Timm Thaler oder das verkaufte Lachen” – aber ich fand das Artwork einfach großartig! Es zeigt die Collage eines gewaltigen, freistehenden Baumes, der unter sich die Schichten des Erdreichs preis gibt.