Auf der Schallplatte stehen fremde Worte in einer doch eigentlich bekannten Sprache: „… aus dem Hause Phonogram“ oder „Printed in West Germany“. Andere Zeiten. Ein anderes Land.
Das Vinyl ist weich, fast wabbelig. Billige Pressung. Gebrauchsware, wenn man sie auf den Materialwert reduzieren würde. Aber aufgeladen mit Bildern, mit Gefühlen, die wie in einem billigen Film wieder aufpoppen, wenn man diesen alten Freund wieder aus dem Regal zieht. Verhuschte Erinnerungen an die freuchtfingrige Faszination vor 30 Jahren, als ich die Platten zum ersten Mal in der Hand hatte: Open Air in Sydney in schwarz-weiß. Und darüber ein quote: „I’ve seen two World Wars / I’ve seen men send rockets out into space / And I foresee the Holocaust / An angel of death descending to destroy human race“. Die beiden Gitarristen – mit Stulpenstrümpfen (!) und Stirnbändern (!!). Dazu: „I’m trying to make you scared / There’s a killer on the loose / haven’t you heard?“ Harter Stoff für 14jährige, mit Schulenglisch bestenfalls notdürftig ausgerüstete Kleinstadtbuben. Aber Kick genug, um stundenlang die Texte rauszuschreiben und plötzlich Stories über Loser, Kaputte und Mörder in den Händen zu halten. Faszinierende Stories.
Wie ich auf Phil Lynott und Thin Lizzy kam, weiß ich nicht mehr. Über den Metal Hammer vielleicht – eines der wenigen Tore zur Welt, wenn man im nordhessischen Zonenrandgebiet wohnt, dreiseitig vom Eisernen Vorhang irgendwie real, aber irgendwie auch behelfsmäßig in der Reisefreieheit eingeschränkt wird und die Fahrt nach Kassel mit dem Linienbus schon die Perspektive aufbläst.
Vielleicht auch nur Neugierde. Erwachende Sucht nach Musik, die uns Platten allein nach der Optik, nach dem Cover kaufen ließ. Gerade erst kleine Metals geworden, wollten wir immer mehr Metal! Mehr Gitarren! Und auf „Life“ waren mit Scott Gorham, John Sykes und Snowy White nicht nur drei Stammgitarristen sondern genauso viele Gäste: Gary Moore. Eric Bell. Brian Robertson. Sechs (!!!) Gitarren auf einer Bühne. Dazu diese tiefe (das Wort „sonor“ kannte ich damals leider noch nicht), coole, melancholische Stimme des Sängers und die düsteren Texte. Männerwehmut, Männerkämpfe, Männergeschichten. Knast, Flucht, Krieg, Kneipenschlägerein, Mörder auf der Hatz. Aber dann auch: „Still in love with you“.
Kurz danach „Out In The Fields“ mit Gary Moore. Uniformen. Live in Formel Eins. Schwitzige Finger. Wir waren Metal. Wir waren Hardrock. Und wir waren natürlich Kriegsgegner. Pazifisten. Nato-Doppelbeschluss-Ablehner. Kriegsdienstverweigerer in spe, die sich auf jeden Antikriegssong stürzten und war er noch so banal. Hört mal: unsere Helden kreischen zwar, sind Machos und nehmen Drogen. Aber sie haben eine Haltung. Faust, Alter.
Kein Jahr später war Phil Lynott tot. Gestorben an einer Kette schwerer Krankheiten. Ausgelöst durch jahrelangen Drogen- und Alkoholkonsum und einer dementsprechend geschwächten Konstitution. Es bleibt die Stimme, die Melancholie und die Melodien von Phil Lynott, die sogar wabbeliges Vinyl vergessen lassen. Materialwerte? Lächerlich.
Natürlich habe ich meinen Kindern seine Statue gezeigt, als wir in Dublin waren. In Dublin, wo sie ihren Rockstars Denkmäler bauen. Vor allem denen, die Lieder von kaputten Typen singen und alle Liebe reinpacken, derer sie fähig sind.
The sun goes down.