Mit Katrin Hübner sind wir fast allein auf dem Friedhof. Es ist November. Es ist bitterkalt. Die Stille, aber auch die Schönheit dieses großen Parkfriedhofs umfängt uns. Der Zentralfriedhof wird nicht nur zum Gedenken, sondern auch zur Erholung genutzt. Katrin nimmt die Dinge in die Hand und gibt eine kleine historische Einführung. Sie erzählt von ihren Erinnerungen als gebürtige Marzahnerin und dass sie auch heute noch bei den Gedenkveranstaltungen vorbeischaut.
Katrin Hübner führt über den Zentralfriedhof in Friedrichsfelde
Den Zentralfriedhof in Friedrichsfelde kannte ich bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie nur aus dem Fernsehen. Und das wiederum fiel mir erst auf, als ich im Frühling zum ersten Mal dort war. Schlagartig kamen Bilder aus den West-Nachrichten in den mittleren bis späten Achtzigern ins aktive Gedächtnis zurück, mit denen über die jährliche Gedenkveranstaltung anlässlich der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht berichtet wurde, die dort ihre letzte Ruhe gefunden haben. Viele tausende zogen jährlich an den Gräbern und der Gedenkstätte vorbei.
Seit diesem Sommer aber hat der Zentralfriedhof für sie und ihren Lichtenberger Kammerchor noch eine ganz andere Bedeutung. Denn ein von einer kleinen Mauer umgebener Baumkreis am entlegensten Ende des riesigen Geländes wurde der Probenort für den Kammerchor, den Katrin Hübner leitet. Die Chorleiterin und Musikerin traf sich hier mit den Singenden, nachdem eine quälend lange Zeit das gemeinsame Singen nicht möglich war. Das persönliche Wiedersehen war sehr schön, das Singen mit Abstand und im Freien trotzdem nicht leicht, denn es fehlte nach wie vor das, wonach sich Katrin Hübner am meisten sehnt: Im Klang zu sein. Teil eines größeren, nicht greifbaren Körpers, in dem die Arbeit und Mühe des Probens ihre wunderbare Auflösung findet.
Bis zum Beginn des zweiten Lockdowns konnte der Chor in der Feierhalle proben, wo normalerweise die Trauerfeiern stattfinden. Nun ist auch das wieder auf absehbare Zeit nicht möglich. Katrin dirigiert eine Reihe leerer Stühle, auf denen nur die Namen der Chormitglieder kleben – als Erinnerung, aber auch als Mutmacher dafür, dass das gemeinsame Schaffen von Klang, von Musik wieder möglich sein wird.
Das erste Konzert ihres Kammerchors war ein Gesangsflashmob auf dem Gelände der Stadtfarm Herzberge, wo samstags im Sommer ein kleiner Wochenmarkt stattfindet. Im Gespräch mit der starken, aber von den Herausforderungen der Corona-Zeit auch ermüdeten Frau stellt sich heraus, dass ich – ohne es zu wissen – damals Zeuge des Konzerts war und tief bewegt von der Schönheit live gesungener Lieder. Wie lang haben wir das vermisst.
Foto: Jim Kroft