Am 30. Mai lud Jack White mit seinen Raconteurs zu einem besonderen Ereignis in die neue Berliner Verti Music Hall: Nicht nur konnte man ihn mit seiner Band bei einem seiner in Deutschland seltenen Konzerte erleben, auch sollte dieses handyfrei sein. „Auf Wunsch der Künstler sind sämtliche The Raconteurs Shows phone-free“ las ich auf der Website des Veranstalters und im Facebook-Event bevor ich am Donnerstag das Konzert besuchte.
Ich gebe zu, ich war neugierig, wie die Erfahrung einer solchen handyfreien Veranstaltung sein würde und auch etwas peinlich berührt darüber, dass ich es überhaupt besonders fand, überlegte ich, warum das Darstellungs-Bedürfnis von (Musik-)Event-Besucher*innen so groß ist, dass sie jeden Moment festhalten und teilen müssen und was genau das noch mit den eigentlichen Gründen zu tun hat, warum Menschen Konzerte besuchen.
Warum gehen Musikfans auf Konzerte und warum haben alle das Gefühl, den Abend mit ihrem Handy festhalten zu müssen?
Dabei kam ich auf drei Beweggründe für den Besuch eines Konzerts:
1. Endlich die Künstler*innen live sehen, die man schon immer einmal sehen wollte,
2. neue Musik & Künstler*innen entdecken, und
3. bei einem schönen Abend gemeinsam mit Freunden ein besonderes Ereignis erleben.
Dass genau letzteres dazu führt, dass immer mehr Leute ihren Freunden und Followern zeigen oder gar präsentieren wollen, auf welchem besonderen Ereignis sie sich gerade befinden, zeigt sich nicht nur an unzähligen verpixelten Konzert-Fotos und -Videos in den sozialen Medien, sondern vor allem auch in Besuchermassen, die apathisch durch ihre Handybildschirme starren. Kommt euch das bekannt vor? Jack White spricht in einem Interview sogar davon, dass seine Fans sich nicht mehr am Konzertgeschehen zu beteiligen schienen und so die Verbindung zwischen Fan und Künstler immer schwerer wurde.
Warum filmt und fotografiert man eigentlich ich auf Musik-Events?
Schon seit einer Weile beobachte ich mich selbst dabei, – manchmal Job-bedingt, meist aus eigener Motivation – dass ich auf Konzerten dazu tendiere mein Smartphone aus der Tasche zu ziehen, um Fotos oder kurze Clips für Instagram aufzunehmen. Oft stecke ich es danach direkt wieder weg und störe mich dann an denjenigen, die ihr eigenes Telefon minutenlang vor mir in die Luft halten und die Sicht auf die Bühne stören. Teilweise empfinde ich es selbst sogar als peinlich oder unangenehm, meinen Arm zu heben, um ein schnelles Foto oder Video aufzunehmen – sicherlich ein Gefühl, dass die Generation nach mir, schon allein aus Gewohnheit, weniger hat.
Aber für mich bedeutet es nicht nur, mit meinen virtuellen Freunden meinen tollen Abend zu teilen, sondern auch besondere Momente festzuhalten. Ich gehe oft und sehr gern auf Konzerte und jedes Ereignis bleibt für mich dabei ein besonderer Abend. Durch meine Affinität zum Fotografieren und sozialen Medien habe ich über die Jahre hinweg eine Menge Foto- und Video-Material in meiner privaten digitalen Sammlung angehäuft. Dass ich jemand bin, der sich diese Fotos im Nachhinein tatsächlich noch einmal ansieht und aufbereitet unterscheidet mich wahrscheinlich von einigen Power-Handy-Filmern auf Konzerten.
Wie war es, das Handy für zweieinhalb Stunden in der Tasche zu lassen?
Ich gebe zu, die Erfahrung eines gänzlich handyfreien Events war für mich als Musikliebhaberin etwas ganz Besonderes. Bereits während der Vorband schienen die Besucher*innen konzentrierter und beteiligter am Geschehen auf der Bühne. Als dann Brendan Benson, Jack White, Jack Lawrence und Patrick Keeler die Bühne betraten, gab es nichts weiteres als die Musik, die Künstler*innen und die Fans, die gemeinsam den Abend genossen.
Zeitweise bemerkte ich allerdings, wahrscheinlich auch eine „Berufskrankheit“ einer PR- & Social Media Managerin, wie ich Momente sah oder spezielle Lichtstimmungen, die mich dazu brachten, über den Gebrauch meines Smartphones nachzudenken. Diesem Bedürfnis gezwungenermaßen widerstehen zu müssen, ist eine Erfahrung, die meiner Meinung nach vor allem der Musik und der Arbeit der Künstler*innen gerechter wird.
Warum ist es gerade für Musiker*innen ein interessanter Schritt, phone-free concerts einzuführen?
Fehlende Aufmerksamkeit der Fans und damit eine verminderte Teilnahme am Geschehen, bewegt Künstler wie Jack White dazu, ihre Konzerte zum handyfreien Erlebnis zu erklären. Gut nachvollziehbar: Wenn das Feedback der Fans fehlt, ganz gleich ob Begeisterung, Mitsingen oder auch Buh-Rufe, fällt es Künstler*innen schwerer sich auf die Stimmung im Saal einzulassen und darauf zu reagieren.
Im Gegensatz dazu bedeuten Konzerte ohne Smartphones in Zeiten von Social Media auch eine geringere Reichweite und schwächere mediale Aufmerksamkeit des Events über den Konzertsaal hinaus. Denn abgesehen von der Vorabwerbung für das Ereignis, der Berichterstattung durch Presse oder die Künstler*innen selbst, entfällt die Reichweite der Fans und Influencer*innen, die das Konzert besuchen. Ein Faktor, der wahrscheinlich etablierte Künstler*innen weitaus weniger tangiert, als aufstrebende. Denn für Newcomer ist Aufmerksamkeit Gold wert.
Was das Konzert von The Raconteurs anging, so überwogen die Vorteile die Nachteile deutlich: Die eingespielte Fangemeinde hat alle bereits veröffentlichten Songs lauthals mitgesungen und schenkte der Band ihre ungeteilte Aufmerksamkeit bei den noch unveröffentlichten Stücken.
Wie funktioniert eine phone-free Show?
Die eventuelle Angst, dass man das eigene Handy in fremde Hände geben muss, kann ich jedem nehmen. Beim Betreten des Venues wird den Besucher*innen eine verschließbare Handytasche aus Neopren ausgehändigt, welche es in verschiedenen Größen gibt. Diese bleibt für den gesamten Verlauf des Konzerts verschlossen und wird beim Verlassen der Konzert-Location mit einem kurzen Swipe über ein spezielles Gerät geöffnet. Für alle, die während des Konzerts nicht ohne ihr Handy können, gibt es dann im Veranstaltungsort einen Bereich, in dem die Taschen geöffnet werden können. Der ganze Prozess verläuft schnell und unkompliziert. Lediglich, dass das Handy in der Tasche sperriger und unhandlicher als vorher ist, schränkt etwas ein.
Noch dazu bieten The Raconteurs von jedem Konzert über soziale Medien und ihre Website direkt nach dem Konzert hochauflösende Fotos zum Download an. Möchte man als Konzertbesucher*in also eine Erinnerung an den Abend, kann man sich für den Privatgebrauch an den Fotos eines professionellen Fotografen bedienen.
Fazit
Das erste Mal ein handyfreies Konzert zu besuchen, hat mich sehr begeistert. Das Konzerterlebnis fühlte sich viel intensiver an als sonst und wird mir ganz anders in Erinnerung bleiben. Vor allem das gesteigerte Erlebnis der Musik an sich, fernab von jeglichen Bombast-Effekten, schaffte für mich noch dazu eine besondere Erinnerung. Sich nur auf die Musik konzentrieren zu können, ohne selbst an Fotos oder Videos denken zu müssen oder von in die Höhe gereckten Smartphones gestört zu werden, macht aus einem 2-Stunden-Abend ein Ereignis, das schwer zu vergessen ist und gleichermaßen dazu anregt, die eigene Handynutzung mal kritisch zu hinterfragen.