Es gibt wahrscheinlich nicht viele Menschen, die ein Beatles-Album in aller Öffentlichkeit als „komplette Kotze“ bezeichnet haben – und das auch noch basierend auf einer kompetenten Insider-Sicht. Außer vielleicht noch die paar hunderttausend christlicher Fundis in den USA, die nach der leicht missverständlichen Äußerung von John Lennon über die Beatles, Jesus und die ihnen jeweils noch zustehenden Rest-Minuten of Fame leicht berzerk gegangen sind.
Glyn Johns jedenfalls hat es getan und er würde es jederzeit wieder tun. Und das zu Recht, denn er hat das Material von „Let It Be“ (das Opfer seines harschen Urteils) zuvor selbst produziert und eine ehrliche, amüsante und revolutionäre Vision der zerrütteten Beatles auf Band gebannt.
#Masterclass BIMM Berlin
Am 20. Januar spricht der Mann, dessen Arbeit schließlich von Lennon und Harrison abgelehnt wurde und der trotzdem einer der legendärsten Produzenten der Popgeschichte ist, als Masterclass Guest vor den Studierenden der BIMM Berlin über sein unglaubliches Leben als Produzent der Rolling Stones, Beatles, Led Zeppelin, The Who, The Kinks, den Eagles, The Clash, Ryan Adams, den Small Faces undundund.
„Let It Be“, der kompositorische Scherbenhaufen, mit dem die Beatles ihr Lebenswerk zu Grabe getragen haben, ist für Johns so ziemlich alles von „erbärmlich“ bis eben, nun ja, „kompletter Kotze“. Und das liegt weniger an den Beatles und ihren Songs als vielmehr an Phil Spector und dessen geigengeschwängerter Operettenhaus-Schwanengesangs-Produktion, die das traurige Schlusskapitel im Leben der größten Komponisten der Popmusik in ein rosa Sound-Tütü wickelte.
Klar hat beim Zustandekommen dieser Meinung auch ein gewisser Neidfaktor eine Rolle gespielt. Denn Glyn Johns hatte Monate vor Spector einen Anruf von Lennon und McCartney bekommen, ob er nicht versuchen wolle, einen großen, wirren Stapel von Aufnahmebändern, lustlos gefüllt von uninspirierten Pop-Genies, zu einem Album zusammenzuflicken. Johns wollte natürlich und vollzog mit seiner Arbeit erneut den Schritt vom Toningenieur (der zu dieser Zeit noch festangestellt war und in vielen Studios in weißem Kittel zur Arbeit zu erscheinen hatte) zum Produzenten/Arrangeur/Regisseur, indem er die desolate Stimmung unter den vier bis fünf Mitgliedern der Beatles ebenso einfing wie die nach wie vor existierende große Freundschaft der vier Männer untereinander.
Und so wie er irgendwie 1970 am Grab der Beatles stand, so hatte er sieben Jahre zuvor ganz sachte aber mit bestimmter Hand die Wiege der Rolling Stones geschaukelt. Denn deren erstes Demo produzierte er bei seinem damaligen Arbeitgeber, den IBC-Studios. Und es war Johns, der die fünf Songs den richtigen Menschen bei Decca Records vorspielte, die klüger waren als ihr Kollege Dick Rowe, seines Zeichens A&R im selben Hause, noch ein Jahr zuvor, der ein ähnliches Demo-Band einer jungen Band namens The Beatles abgelehnt hat, um lieber Brian Poole & The Tremoloes unter Vertrag zu nehmen. Was nach wie vor als größte Fehlentscheidung der Musikhistorie gilt. Die legendäre, aber auch gute fünf Dekaden später gern verwendete Begründung von Rowe gegenüber dem Beatles-Manager: „Gitarrenbands geraten aus der Mode, Mr. Epstein.“
Der Rest in Glyn Johns Leben füllt bereits mehrere Bücher und brachte ihm die Aufnahme in die Rock’n’Roll Hall of Fame am 14. April 2012 ein, muss hier aber in Form einer Playlist aufs Nötigste runtergebrochen werden.
Glyn Johns war als Produzent/Engineer maßgeblich beteiligt an:
Led Zeppelin I
The Who: My Generation
Small Faces: Itchycoo Park
Rolling Stones: From The First Demo To Beggar’s Banquet
The Kinks: You Really Got Me
Eagles: First Album
The Clash: Combat Rock
Bob Dylan: Real Live
Eric Clapton: Slowhand
Joan Armatrading
Ryan Adams: Ashes